AUSZUG AUS DER EVANGELISCHEN LANDESKIRCHE DES KANTONS THURGAU

BESCHREIBUNG ZUM GEBET

„Jetzt hilft nur noch Beten!“ Wenn wir diesen Satz brauchen, ist die Situation meistens ernst. Alle menschlichen Möglichkeiten sind ausgeschöpft. Wer betet, will sich öffnen für verborgene Quellen; er rechnet mit Ressourcen, die im Getriebe des Alltags gern vergessen gehen. Wer betet, findet für alle Situationen des Lebens ein offenes Ohr. Denn Gott ist ein hörender Gott: „Der das Ohr gepflanzt hat, sollte der nicht hören?“ (Psalm 94.9)

Gottes Ohr ist offen für alles, was uns Menschen bewegt: Freude und Leid, Lob und Klage, Dank, Bitte und Fürbitte, Liebe und Hass, Verzweiflung und Vertrauen, Wunsch und Sehnsucht – alles darf gesagt, nichts muss verdrängt werden: die biblischen Psalmenwiderspiegeln lebendig und vielschichtig das menschliche Leben in all seinen Höhen und Tiefen.

Sich rückhaltlos aussprechen können, ist rein psychotherapeutisch schon wertvoll. Wer sich ausspricht, gewinnt Distanz zu all dem, was ihn bewegt, erfreut, quält oder bekümmert. Und wo diese Aussprache vor Gott geschieht, lernt die Seele aufatmen. Denn der Betende rechnet damit, dass Gott ihn hört und ernst nimmt, auch dann, wenn das Gebet egoistisch und gedankenlos klingen mag. Der Betende mutet Gott zu, dass er zu seiner Zeit und auf seine Weise antworten wird.

Umfragen haben ergeben, dass die meisten Menschen beten, die einen regelmässig, andere gelegentlich. Vielleicht handelt es sich oft nur um ein kurzes Stossgebet. Aber warum sollte Gott dieses weniger erhören als ein längeres Gebet in wohlgesetzten Worten? Im Gegenteil: Jesus rät, beim Beten nicht viele Worte zu machen. Wer meint, dass Gott sich durch viele Worte umstimmen lässt, hat kein Vertrauen zu Gott. Denn Gott weiss, was wir brauchen, bevor wir ihn bitten. (Matthäus 6.6-8) Das Gebet ist also kein Mittel, um Gott über die persönliche oder die Weltlage zu informieren: er kennt beide besser als wir! Aber das Gebet hilft uns, dass wir über uns selber klar werden; dass wir Wichtiges von Unwichtigem unterscheiden lernen; dass wir Zugang finden zu jener Wirklichkeit, auf die es in allem Werden und Vergehen ankommt: das Reich Gottes, die neue Welt.

Sehen wir uns als Betende in diesem weiten Horizont, stellt sich die Frage: was sollen wir denn beten? Bereits der Brief des Paulus an die Römer kennt dieses Anliegen: „Wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie sich’s gebührt.“ (8.26) Wir haben zwar private Wünsche und globale Sehnsüchte – aber was genau sollen wir nun vor Gott bringen im Gebet? Die Antwort des Apostels klingt geheimnisvoll: „Der Geist Gottes vertritt uns mit unaussprechlichem Seufzen.“

Das wirkliche Gebet ist nicht ein Werk des Menschen, sondern das Werk Gottes in uns. Wie der Glaube nicht unser Werk ist, so auch das Gebet: Gott wirkt es in uns! Das Gebet kann also niemals eine Kraftübung werden, mit der wir Gottes Arm bewegen wollen. Sondern umgekehrt: durch das Gebet bringt Gott uns in Bewegung. In dem Sinne gilt Dietrich Bonhoeffers Wort: Das Gebet ersetzt keine Tat, aber es ist eine Tat, die durch nichts ersetzt werden kann. 

Im Unser Vater gibt Jesus ein Grundmuster, an dem wir unser Beten orientieren können:

Unser Vater im Himmel.

Geheiligt werde dein Name.

Dein Reich komme.

Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden.

Unser tägliches Brot gib uns heute.

Und vergib uns unsere Schuld,

wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.

Und führe uns nicht in Versuchung,

sondern erlöse uns von dem Bösen.

Denn dein ist das Reich und die Kraft

und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen